Stadt Dinkelsbühl (Druckversion)

Jüdische Gemeinden in Dinkelsbühl

Die Juden, die bis zum November 1938 in Dinkelsbühl lebten, waren königliche Kammerknechte, reichsstädtische Schutzverwandte, eingekaufte Juden, bayerische Staatsbürger und Deutsche. Zumeist erschienen sie ihrer nicht-jüdischen Umgebung als mehr oder weniger fremd. Denn sie gehörten in einer stark von der Religion und exklusiven Heilsgewissheiten geprägten Zeit, wie dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit einer anderen, über Jahrhunderte als gotteslästerlich und gefährlich diffamierten Religion an. Sie formierten ihre eigene Gesellschaft, organisierten sich in Gemeinden mit eigenem Kultus, eigener geistiger Führung und eigenem Gericht. Zugleich waren sie jedoch auch Teil der Gesamtgesellschaft: lebten als Nachbarn in der gleichen Straße, begegneten als Händler, Bettler oder Vaganten vor der Tür, auf dem Markt, dem Hof oder der Weide, boten sich als Kreditgeber an, besiegelten Geschäfte gemeinsam in der Schänke und standen zum Schwätzen auf der Straße.

Mittelalter

Während der zweimaligen Verpfändung Dinkelsbühls an die Grafen von Oettingen ließen sich um 1251 und 1341 Juden nieder, die jedoch durch die Rintfleisch-Verfolgung 1298 bzw. das Pest-Pogrom 1348/49 wieder aus der Stadt gedrängt wurden. Vermutlich konnte das Patriziat mit den einbehaltenen jüdischen Vermögen beide Male die Stadt aus der Pfandschaft auslösen. Die Reichsstadt erhielt dann 1372 das Privileg, Juden aufzunehmen und Nutzen daraus zu ziehen. Fünfmal erneuerten und bestätigten Kaiser und Könige anschließend dieses Recht. Kaiser Karl IV. gewährte den Juden vier Jahre Steuerfreiheit, weil sie ihn finanziell unterstützten. Bald darauf hatte die Gemeinde einen Rabbiner. Schwer belastet wurde sie durch die 1384 vom Dinkelsbühler Rat eigenmächtig eingeleitete Judenschuldentilgung und die nachfolgende Schuldenminderung durch König Wenzel. Innerhalb des Städtebundes bestrafte die Obrigkeit zwar bürgerliche Verfolgungen, doch die Dinkelsbühler Juden waren finanziell ruiniert und verließen bis 1400 die Stadt. Danach betrieben hier nur noch auswärtige Juden Handels- und Geldgeschäfte. Gegen das Hausieren und die Wucherei wurde später vorgegangen, schließlich das Kreditgeschäft ganz verboten. Die Gerichtsstreitigkeiten von Dinkelsbühler Bürgern und Landuntertanen mit den herrschaftlichen Juden der umliegenden Dörfer und Städte wurden vor dem Inneren Rat verhandelt.

Dreißigjähriger Krieg bis zum Ende des Alten Reichs

Im Dreißigjährigen Krieg wurde 1636 die zahlungsunfähige Reichsstadt gezwungen, sechs Juden mit ihren Familien für 700 Gulden aufzunehmen. Eine Synagoge wird 1663 genannt, es wurden auch Beschneidungen auswärtiger Juden durchgeführt und eine Mikwe, ein rituelles Tauchbad für Frauen und Männer, war auch vorhanden. Schon bald nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs sollten die Juden die Stadt wieder verlassen. Dennoch blieben drei oder vier Familien als Schutzverwandte. Die Familie Frommele etwa erreichte ein lebenslanges Schutzrecht in Dinkelsbühl und erlebte kaum Benachteiligungen. Die Handelsverbindungen mit auswärtigen Juden nahmen in dieser Zeit zu. Beispielsweise kamen 1680 aus 44 Orten insgesamt 301 jüdische Händler, darunter aus Schopfloch 78, Feuchtwangen 33, Wittelshofen 23, Oettingen 14 und Wassertrüdingen 8. Wiederholt ordneten kaiserliche Kommissionen an, die Juden auszubezahlen und aus der Stadt zu schaffen. Aber zum einen konnten weder die Bürger noch die Stadt ihre Schulden zurückzahlen, sie nahmen sogar neue Kredite auf. Zum anderen waren Bürgermeister und Räte selbst in Geldgeschäfte verwickelt. So verließ der letzte Jude die Stadt erst 1712. Die Zeit bis zum Reichsstadtende 1802 kennzeichnen Streitigkeiten wegen des Leib- oder Kopfzolls. Ihn mussten Juden am Tor bezahlen, um hausieren, Geldhandel treiben oder einkaufen zu dürfen. Die „eingekauften Juden“ der Nachbargemeinden konnten das mit einem günstigeren Jahresvertrag tun.

Neuzeit bis 1938

In der bayerischen Landstadt Dinkelsbühl erschwerten die von 1813 bis 1861 geltenden Judenmatrikel die Ansässigmachung, da zuvor keine Juden in der Stadt wohnten. Dennoch zog im Jahre 1853 Dr. Moritz Mannheimer aus Mönchsroth als Hospitalarzt zu. Er lebte hier bis 1861 mit seiner Frau und neun Kindern - als erste Familie der letzten Dinkelsbühler Judengemeinde, die 1938 endete. 1861 und 1862 folgten weitere Juden. Sie waren der israelitischen Kultusgemeinde Schopfloch zugeteilt, erst 1929 bildete sich eine selbstständige Gemeinde, amtlich bestätigt 1932. Bereits ab 1882 besaßen die Bürger mosaischen Glaubens einen Betsaal, später eine Synagoge im Haus des Seligmann Hamburger in der Klostergasse. Die höchste Anzahl mit 65 jüdischen Bürgern hatte Dinkelsbühl bei der Machtergreifung Hitlers 1933, schon ein Jahr später waren es nur noch 54. Die Juden waren bis zum Beginn der Naziherrschaft Mitglieder in Vereinen, hatten an der Kinderzeche teilgenommen, auch 1928 an der Tausendjahrfeier der Stadt. Geschürt durch die antsemitische Hetze im Dritten Reich nahm die Judenfeindlichkeit zu. In der Frühe des 9. und des 10. November 1938 (Reichspogromnacht) wurden sie persönlich gedemütigt, das Inventar und die Kultgegenstände der Synagoge auf der Straße verbrannt. Die in der Stadt noch wohnenden 18 Frauen und Männer verließen „unter dem Druck der Verhältnisse die Stadt“. Von den in Dinkelsbühl einst beheimateten israelitischen Bürgern wurden mehr als 25 Opfer der Shoa.

Sichtbare Spuren

  • Gedenktafel für die Opfer des NS-Regimes in der Kriegergedächtniskapelle
  • Stolpersteine vor den Wohnhäusern der Shoaopfer
  • Alle Häuser, in denen jüdische Bürgerinnen und Bürger zwischen 1853 und 1938 wohnten
  • Haus der Geschichte Dinkelsbühl - von Krieg und Frieden: Judaica-Vitrine mit Erläuterungen
  • Ehemalige Synagoge, Klostergasse 5: Seligmann Hamburger stellte nach 1882 einen Raum seines Hauses, ab 1923 einen Betsaal für Männer und einen für Frauen als Zimmersynagoge zur Verfügung. Eine Tafel zum Gedenken an die jüdischen Bürger wurde im April 2007 im Geschäftseingang angebracht.
  • Mikwe in der Klostergasse 5, nach 1862.
  • Mikwe im Nebenhaus (Hof) von Steingasse 9, nach 1636.
  • Einzelne historische Wohnhäuser und Gebäude: Haus mit Garten von Mosche, Abraham und Moschi Frommele 1657 bis 1712 in der Bauhofstr. 15. – Haus von Lazar Frommele 1684 bis um 1700 in der Segringer Str. 41. – Weiteres Haus von Lazar Frommele 1692 bis um 1700 in der Langen Gasse 4. – Judenwirtschaft Zum Koppen, Segringer Str. 38, genannt 1651 bis 1663. – Judenwirtschaft Zum Weißen Ross, Steingasse 12, genannt 1668 bis 1681. – Stadttore: 1664 wurde beschlossen, dass jeder auswärtige Jude beim Eintritt in die Stadt Kopfzoll bezahlen muss, wofür er einen Zollschein erhielt. – Waaghaus (Gustav-Adolf-Haus, Eingang vom Waaggässlein): Die Zollscheine wurden hier abgerechnet, Warenzoll bezahlt. – Altes Rathaus (Haus der Geschichte): Hier wurden die gesetzlichen Bestimmungen sowie Eingaben von Juden und ihre Gerichtsfälle beraten. – Heilig-Geist-Spital: Dr. Mannheimer praktizierte hier von 1853 bis 1861.

Weiter Informationen

Literatur:
ARNOLD, Gerfrid: Juden in Dinkelsbühl, 2010

Kontakt:
Stadtarchivar
Gerfrid Arnold
E-Mail schreiben

Weblinks:
www.hausdergeschichte-dinkelsbuehl.de
www.historicum.net/themen/juedische-geschichte

https://www.dinkelsbuehl.de//deutsch/alle/stadt-dinkelsbuehl/stadtgeschichte/juedisches-dinkelsbuehl